Donnerstag, 17. Januar 2019

Mittendrin im Reich der Mitte

„Was muss ich alles einpacken?“, „Wie kann ich mich verständigen?“, „Komme ich mit meiner Gastfamilie klar?“, „Wird mir das Essen schmecken?“ […] – ja, die Liste der Fragen, die wir uns vor der Abreise stellten war lang. Als wir am 3. April in Dresden starteten, waren wir mindestens genauso gespannt wie aufgeregt, was uns die kommenden 14 Tage erwarten würde…
Nach einer anstrengenden Anreise (14h Flug mit Umsteigen in Paris, 2h Fahrt in der komplett überfüllten Metro von Shanghai, 3h Weitereise mit dem Speedtrain und weiteren 3h im Bus) waren wir endlich am Zielort in Qingyuan, ca. 500km südwestlich von Shanghai, angekommen.
Unsere Gastfamilien nahmen uns mit einer überwältigenden GASTFREUNDSCHAFT auf und sorgten dafür, dass es uns so gut wie nur möglich – fernab der Heimat – gehen sollte. Beim gemeinsamen Austausch am runden Abendbrottisch gewöhnten wir uns mehr und mehr an die kulinarischen Spezialitäten Chinas und lernten einander kennen. Anfangs griffen unsere Stäbchen noch sehr zögerlich nach dem, was da so alles auf dem Tisch stand, oft rutschte es einfach durch das ungewohnte Esswerkzeug hindurch und alle überkam ein leichtes Schmunzeln, doch nach einiger Zeit konnte man gar nicht mehr schnell genug den runden Tisch vor sich herdrehen: „Chinesisches Essen ist der Wahnsinn – einfach lecker! Und Essen mit Stäbchen? Easy.“ Sogar gekochtem Frosch kann man da nicht mehr wiederstehen. Und die Chinesen lieben das gemeinsame Essen! So war es faszinierend, was man für uns in dieser Woche alles auftischte. Nur zum Frühstück wäre ab und zu ein Müsli oder Brötchen mal ganz nett gewesen, stattdessen gab es Reis, Suppe, Schwein und Pilze. Aber was solls – es war ja schließlich ein kultureller Austausch…
Bei zahlreichen Aktivitäten (Bambustanz, Wanderung in der umgebenden Berglandschaft, Kalligraphiemalerei, Ernte von Bambussprossen, Besichtigung typisch-chinesischer Architektur & Tempel, Taijieinheiten, uvm.) konnten wir so richtig in die chinesische Kultur & Tradition eintauchen. Diese gemeinsamen Tage mit unseren Gastgebern ermöglichten zahlreiche Gesprächssituationen, in denen so manche Klischees widerlegt wurden (Nein, in China isst man kein Hund!), sich trotzdem das ein oder andere bestätigte und auch wir mit einer großen Neugier über unser Heimatland ausgefragt wurden. Natürlich mussten wir somit von morgens bis abends Englisch reden, aber das ist doch ein Toptraining, fernab des gewohnten Klassenraums!
Spannend war zudem der Besuch des chinesischen Schulalltags: Klassenstärken von 50 SchülerInnen und mehr, Frontalunterricht par excellence, Unterricht von 7 Uhr morgens bis teilweise nach 20 Uhr, Schlafen in Gemeinschaftsschlafsälen der Schule (wenig Privatleben!) und eine allmorgendliche Joggingeinheit aller SchülerInnen um den Schulkomplex. Ganz ehrlich? – danach konnten wir unser Leben als SchülerInnen in Deutschland erst so richtig wertschätzen und wir haben enormen Respekt vor der chinesischen Arbeitsamkeit! 
Nach einer wirklich erfahrungsreichen Woche in der chinesischen Gastfamilie begaben wir uns schließlich auf eine Rundreise entlang der Ostküste. Als wir mitten in der Skyline der Millionenmetropole Shanghai standen, blieb uns einfach der Atem weg: Ein Wolkenkratzer jagt den nächsten – ein Wettkampf gen Himmel, der erst vor 25 Jahren begann. Sowas kannten wir einfach noch nicht. Impressiv! Shanghai zeigte uns ein vorwärts gerichtetes, hochmodernes, aufstrebendes und stark westlich gewandtes China. Wir waren sprachlos!
Mit dem Nachtzug ging es danach in 14h auf engstem Raum (aber das hat irgendwie auch Spaß gemacht und war gemütlich) in die Hauptstadt 1500km weiter nördlich gelegen. Dort konnten wir endlich eine Sache von unserer Bucket List streichen, die man einfach mal gemacht haben muss: wir schlenderten über das Weltwunder der Großen Mauer. Einfach Wahnsinn, was die alten Dynastien dort erschufen! Auch der Gang über den Platz des Himmlischen Friedens weckte in uns ein ganz komisches Gefühl. Dies sollte also der Ort sein, dessen Geschichte die Partei gern aus den Büchern verdammen würde, aber über den wir schon so viel aus dem Geschichtsunterricht wussten – ein mulmiges Gefühl überkam uns!
Peking an sich ist mit europäischen Maßstäben einfach nicht vergleichbar: eine Nord-Südausdehnung von 160km und eine Bevölkerung von mehr als 24 Mio. Menschen. Wir konnten es kaum glauben.
Alles in allem erlebten wir eine sehr aufregende und spannende Zeit in der Volksrepublik. Dieser Austausch hat so viel mehr zu bieten als nur reine sprachliche Praxis: das Zusammenleben mit den Menschen vor Ort, die eine schier völlig andere Lebensweise und -auffassung haben als wir; die Überwindung, auch kulinarische Abenteuer, die  zunächst vielleicht gewöhnungsbedürftig sind, über sich ergehen zu lassen; das Entdecken ferner Landschaften und beeindruckender Metropolen; das Kennenlernen typisch chinesischer Strukturen, Lebens- und Arbeitsweisen;  das gemeinsame Reisen als eine kleine Gruppe am gefühlten anderen Ende der Welt … all das und vieles mehr haben uns an Erfahrungen reicher werden lassen! Die Begegnung mit einer anderen Kultur, fernab Europas, zwingt dich, auch mal die gewohnte Komfortzone zu verlassen. „Xièxiè – für diese Möglichkeit!“
Oft wird man nach einer solchen Reise gefragt, was wohl das Beeindruckendste gewesen sei. Die Liste scheint zunächst lang zu sein, doch alles in allem war es die chinesische Gastfreundschaft, die uns am meisten faszinierte!
Auch wenn wir sicherlich nicht mit allem aus China übereinstimmen, so war diese Reise trotzdem sehr bereichernd und half uns, auch das eigene Leben und Handeln kritisch zu hinterfragen – im positiven wie auch negativen Sinne. Aber eigentlich kann man das auch alles gar nicht so richtig beschreiben: Fahr hin, ERLEBE es selbst!
P. Dimmel



























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